Vor zweieinhalb Jahren habe ich das Präsidium des Business and Professional Women (BPW) Clubs Bern übernommen. BPW engagiert sich schweiz‑ und weltweit für die Gleichstellung von Frau und Mann sowie eine bessere Sichtbarkeit und Vertretung von Frauen in Politik und Wirtschaft.
Punkto Gleichberechtigung besteht in der Schweiz noch einiges an Handlungsbedarf. Zwar hat es in den vergangenen Jahren einige Fortschritte gegeben. So wurde unter anderem das Eherecht revidiert, und bei den nationalen Wahlen 2019 wurden soviele Frauen wie noch nie ins Parlament gewählt. Stossend ist, dass die Gleichstellung zwar seit 1981 verfassungsmässig verankert ist, sie in der Realität jedoch nicht überall umgesetzt und gelebt wird. So zeigen sämtliche Lohnanalysen, dass Frauen heute im Schnitt noch immer weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen – und zwar unabhängig davon, ob die Analyse im öffentlichen oder privaten Sektor, in bestimmten Berufsgruppen, wie zum Beispiel im medizinischen Bereich, oder gar zu Beginn der Berufskarriere gemacht wird. In der medizinischen Forschung und Behandlung ist es umgekehrt: Da wurden Frauen lange gleich wie Männer behandelt. Eine Frau ist aber nicht einfach ein kleiner Mann mit weniger Kilos. Das Ignorieren von biologischen Unterschieden hat fatale Konsequenzen mit enormen Kostenfolgen.
Anderes stimmt mich gleichwohl zuversichtlich. So nahmen am 27. September 2020 über 60 Prozent der Schweizer Stimmberechtigten den Vaterschaftsurlaub an. Dieses Resultat ist für mich ein Zeichen dafür, dass dieser Urlaub einem Bedürfnis der Bevölkerung entspricht und man gewillt ist, die Hausarbeit und Kinderbetreuung ab Geburt des Kindes gleichberechtigt zu verteilen. Gleichzeitig werden die KMUs mit Blick auf ihre Anstellungsbedingungen konkurrenzfähiger und erhalten gleichlange Spiesse, da der Urlaub via eine Versicherungslösung finanziert wird. Der Vaterschaftsurlaub ist für mich zwar ein Schritt in die richtige Richtung, jedoch lediglich eine Zwischenetappe zu einer gemeinsamen Elternzeit.
Anlass zu Diskussionen gibt auch heute immer noch die Frage, ob Frauenquoten in Politik und Wirtschaft von Nöten sind. Leider ist die berühmte «gläserne Decke» nach wie vor Realität. Ansetzen könnte man hier bereits bei der Rekrutierung: Genderneutrale Bewerbungen wären eine Möglichkeit, vermehrt auf die Qualifikation und den Leistungsausweis zu fokussieren und stereotypische Vorurteile zu vermeiden. Meine Haltung zu Quoten ist klar: Es braucht sie als Mittel zum Zweck.
Frauenquoten und weitere gesetzliche Vorgaben zu Gunsten der Gleichstellung als, wie bereits erwähnt, Mittel zum Zweck sind nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Überlegungen sinnvoll. So zeigen zahlreiche Untersuchungen, dass gemischte Teams finanziell besser abschneiden. Zudem können wir es uns vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels schlicht nicht leisten, auf kompetente Frauen zu verzichten. Daher setze ich mich auch für die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein. Wichtig scheint mir in diesem Zusammenhang die Wahlfreiheit der Eltern, wie sie ihr Familienleben organisieren möchten. Problematisch wird es, wenn diese Wahlfreiheit durch die Gesellschaft oder bestehende Rollenstereotypen beschnitten wird. Wir sind alle aufgefordert, unsere eigenen Stereotypen zu überwinden, kritisch zu hinterfragen und unserem Gegenüber unvoreingenommen zu begegnen.
Herzliche Grüsse
Monique von Graffenried-Albrecht
Business and Professional Women (BPW) bildet eines der grössten und ältesten Berufsnetzwerke für engagierte Frauen ‑ schweiz‑ und weltweit. Mehr als ein Netzwerk, setzt sich BPW für die Förderung engagierter Frauen, Chancengleichheit und Gleichberechtigung ein. Dies erfolgt mittels Weiterbildungsangeboten für die Mitglieder sowie mittels politischer Aktionen und öffentlicher Auftritte, wie beispielsweise dem Equal Pay Day. BPW ist parteipolitisch und religiös neutral. Präsidentin des Clubs Bern ist seit Frühjahr 2018 Monique von Graffenried-Albrecht. Der BPW Club Bern ist das grösste Netzwerk für Berufs- und Geschäftsfrauen im Kanton Bern ‑ ihm gehören rund 200 Frauen aus dem Raum Bern an. Für weitere Auskünfte: https://bpw-bern.ch/home.