Wir stehen in Bern vor grossen Herausforderungen. Weshalb ich Gemeindefusionen grundsätzlich befürworte, mir die aktuellen Finanzen Bauchschmerzen bereiten und wieso der öffentliche Verkehr auch in Zukunft nicht gratis sein sollte, dies erzähle ich im Interview mit Eva Zwahlen.

Text: Kommunikationsstudio Eva Zwahlen
Bild: Photographie Pia Neuenschwander

Wirst du am 29. November als Stadträtin gewählt, so würdest du dich künftig in die unterschiedlichsten Themen einarbeiten müssen. Böse Zungen behaupten, viele Politikerinnen und Politiker hätten zwar zu vielem eine Meinung, jedoch nur von wenig eine Ahnung. Welchen Anspruch hast du an dich selber?
Es ist richtig, dass die Bandbreite an Themen enorm ist. Daher ist es zwingend, dass man sich auf zwei, drei thematische Schwerpunkte festlegt. Diese hängen auch davon ab, in welchen Kommissionen man mitarbeitet. Als Politikerin und Politiker ist man aufgefordert, dass man sich vertieft mit diesen Themen befasst, entsprechende Hintergrundrecherche betreibt, den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen sucht und sich auch aktiv mit anderen Positionen auseinandersetzt. Bei Themen, die mir weniger präsent sind, möchte ich mich jeweils soweit à jour bringen, auch im Austausch mit meinen Parteikolleginnen und -kollegen, dass ich überzeugt im Stadtrat abstimmen kann.

Welche politischen Schwerpunkte würdest du in deinen ersten vier Jahren setzen?
Von meinen persönlichen Interessen und Kompetenzen her sehe ich meine Schwerpunkte insbesondere bei der Wirtschaft, dem Gewerbe und den Finanzen. Vor dem Hintergrund der Covid-Pandemie wäre es mir ein Anliegen, ebenfalls in der Sozialpolitik mitzuwirken. Hier ist es wichtiger denn je, die Abläufe und Prozesse auf einen – auf Grund von Covid – sehr wahrscheinlich ansteigenden Bedarf vorzubereiten. Es darf nicht sein, dass die Behörden, wie wir dies im Frühjahr 2020 bei den Anträgen auf Kurzarbeit gesehen haben, an den Rand des Kollapses kommen. Dies dürfen wir weder den zuständigen Verwaltungsmitarbeitenden noch den direkt Betroffenen zumuten.

Ich bitte dich, die nachfolgenden Sätze zu kommentieren:
Es macht Sinn, die Fusion der Gemeinde Bern mit anderen Gemeinden zu prüfen.
Das macht absolut Sinn. Viele, insbesondere kleinere Gemeinden, stehen heute vor der Herausforderung, ihre Gemeindeorgane überhaupt besetzen zu können. Zudem stellen sich den Gemeinden in der Regel die genau gleichen Aufgaben, angefangen von Schulen bis zu Polizei und Feuerwehr - da ist es sinnvoll sowie personell und finanziell effizienter, dieses Angebot grossflächiger anzubieten. Natürlich sollen Fusionen nicht der Fusion willen passieren, sondern jeder Fall ist individuell und situativ zu prüfen.

Der öffentliche Verkehr sollte unentgeltlich sein.
Damit bin ich gar nicht einverstanden und klar dagegen. Der öffentliche Verkehr in der Schweiz erbringt eine hervorragende Leistung und darf und soll etwas kosten – zu fairen Preisen. Was gratis ist, verliert an Wert. Wichtig ist, dass der ÖV attraktiv ist und auch in der Agglomeration von Bern gute Anschlüsse auf Tram, Bus und Bahn bestehen. In der Stadt Bern ist dies dank Bernmobil der Fall.

Autos haben in der Stadt Bern nichts verloren.
Das sehe ich anders. Zu einer Stadt gehören Autos. Gerade fürs Gewerbe ist der Zugang zur Stadt mit dem Auto enorm wichtig. Es wollen aber auch nicht alle Privatpersonen ausschliesslich mit dem Velo oder ÖV unterwegs sein. Die Lösung ist ein vernünftiges Miteinander, bei der jede Form der Mobilität ihren Platz hat.

Der Staat ist in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass sozioökonomisch Schwächere den Anschluss nicht verlieren.
Dieser Aussage kann ich zustimmen. Die soziale Absicherung ist eine staatliche, verpflichtende Aufgabe. Die Frage ist, wie sie am besten umzusetzen ist. Ich bin für den Ansatz «Hilfe zur Selbsthilfe». Die Menschen sollen fähig sein beziehungsweise dazu befähigt werden, auf eigenen Beinen zu stehen und Verantwortung für ihr eigenes Leben zu übernehmen. Ist dies nicht möglich, so hat der Staat Unterstützung zu einem würdigen Leben zu leisten. Wir stehen als reiches Land in der Verantwortung, den sozial Schwächeren zu helfen.

Die Altstadt soll vor allem attraktiv für die zahlreichen Touristinnen und Touristen sein, die Bern jährlich besuchen.
Die Altstadt soll für alle attraktiv sein, nicht ausschliesslich für Touristinnen und Touristen, sondern auch für die Bernerinnen und Berner, die hier leben und arbeiten. Der gesunde Mix von Geschäften, Bars, Restaurants und kulturellem Angebot ist dabei zentral, damit die Stadt auch abends und an den Wochenenden belebt ist und wird. Wir müssen dabei Acht geben, dass die Rahmenbedingungen nicht noch schwieriger werden. Persönlich bedaure ich das «Lädelisterben» sehr. Schade finde ich auch, dass die Stadt Bern das Lichtspektakel auf dem Bundesplatz nicht weiter finanziell unterstützt. Dieses Spektakel ist auch deshalb hervorragend, weil es Leute von ausserhalb nach Bern holt und zum Shoppen sowie Konsumieren in der Stadt animiert.

Die Stadtberner Finanzen bereiten mir derzeit etwas Kopfzerbrechen.
Ja, die bereiten mir in der Tat Kopfzerbrechen. Das letzte Jahr wurde mit roten Zahlen abgeschlossen, vor dem Hintergrund von Covid-19 eine alles andere als ideale Ausgangslage. Ende November wird über das Budget 2021 mit einem budgetierten Verlust von über CHF 40 Millionen abgestimmt. Ich ermuntere die Wählerinnen und Wähler, ein Nein in die Urne zu legen, weil es ein Budget zu Lasten der kommenden Generationen ist und keine Zukunft hat.

Welcher grosse politische Wurf sollte der Stadt Bern in den nächsten Jahren gelingen?
Wir müssen dafür sorgen, dass Bern attraktiv bleibt, und zwar für die Menschen, die hier wohnen und arbeiten, jedoch auch für die Unternehmen. Wir müssen die Rahmenbedingungen für das Gewerbe optimieren. Ich sehe Handlungsbedarf bei den Bewilligungsverfahren, aber auch bei den Gebühren und Steuern. Unternehmen, aber auch Privatpersonen, sollen zu Innovationen ermuntert, Prozesse digitalisiert werden. Wir müssen Arbeitsplätze und Lehrstellen schaffen und erhalten.